Theoretische Grundlagen: Der Wohlfahrtsstaat als Machtfeld
Einführung
Die enorme militärische, ökonomische sowie kulturelle Macht und Gewalt, die in sog. ‚Wohlfahrtsstaaten‘ konzentriert ist, gilt allgemein nur als Mittel, um die größtmögliche Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit sowie Wohlfahrt für alle durchzusetzen – ungeachtet aller Kriege, Not und sozialer Ungleichheit. Im Jahr 2009 wurden geschätzte ca. 1.531 Mrd. US $ für militärische Zwecke aufgewendet (geg. dem Jahr 2000 eine Zunahme um ca. 49%); fast die Hälfte entfiel auf die USA und unter den ‚Top-15‘, die über 80 % der Militärausgaben bestreiten, befinden sich v.a. die‚Wohlfahrtsstaaten‘ Frankreich, Großbritannien und Deutschland (
http://www.sipri.org). (Abbildung).
Rangliste der Militärausgaben (2009)
Diese Konzentration an Gewaltpotentialen geht nicht zufällig mit jener des ökonomischen Kapitals einher, ebenso wie soziale Ungleichheit konfliktfördernd ist: Dabei hatten im Jahr 2000 die reichsten 10% der Haushalte der Welt mehr als die Hälfte aller verfügbaren Einkommen der Welt, 85% der reichsten 10% der Erde stammten aus OECD-Ländern; dagegen erzielten 40% der Menschen der Welt zusammen nur ca. 5 % aller Einkommen – darunter die ca. 2,5 Mrd. Armen mit Einkommen unter 2 $ (KKP) pro Tag) (UNDP 2005; Dikhanov 2005; Milanovic 2006). Deshalb wird in der folgenden begrifflichen und theoretischen Fundierung an diese Zwiespältigkeit des Wohlfahrtsstaats erinnert.
In den Wohlfahrtsstaaten werden in den letzten Jahren immer neue ‚Krisen‘ konstatiert (der Finanzen, Wirtschaft, Arbeit, Energie, Demographie, Familie, Umwelt usw.), die als Grundlage einer reaktionären ‚Krisen- und Reformpolitik’ dienen, als Rückkehr der ‚Grammatik der Härte’ (Fach 2000), mit dem Abbau sozialer Teilhabe und einer wachsenden sozialen Ungleichheit. Dieses wird technokratisch als ‚unvermeidbar’, ‚wohlfahrts- oder ‚zukunftssichernd‘ bzw. ‚zukunftsorientiert’ usw. gewendet und wirkt zusammen mit den auch hierzulande anhaltenden sozialen Notlagen entpolitisierend. Es droht ein autoritärer Etatismus im Ausnahmezustand (Poulantzas 1978; Agamben 2004) und ein Verschwinden von Politik‘ in der ‚Postdemokratie‘ (Crouch 2008; Fach 2008). Angesichts der offen oder verdeckt gewaltträchtigen Krisenpolitik der mächtigen Wohlfahrtsstaaten, herrscht flankiert von Armut, Arbeitslosigkeit und extremer sozialer Disparität, vermehrt auch in den kapitalistischen Zentren eine lähmende Sorge, Angst, Resignation und Apathie, was als ‚Politikverdrossenheit’ nur unzureichend, eher paternalistisch verständnislos beschrieben wird. Die wenigen virulenten Proteste, Kämpfe und Bewegungen bleiben bisher primär national und richten sich in den Wohlfahrtsstaaten auf die eher kleinteilige Verteidigung sozialer Teilhaberechte gegen die allgegenwärtigen angeblichen ‚Reformnotwendigkeiten’ und ‚Sachzwänge’, infolge Globalisierung, Alterung usw., der weiter angelegte Blick und eine Verbindung zur ‚Peripherie’ fehlt dagegen.