Einführung

Neben aktuellen gesellschaftlichen Entwicklungen und Problemen des Alterns werden die unterschiedlichen Verständnisse und Sichtweisen soziologischer theoretischer Ansätze oder ‚Brillen’ (Funktionalismus, Konfliktansätze, Symbolischer Interaktionismus und Bourdieusche Feldtheorie) im Hinblick auf das Altern als soziales Problem und die Altenhilfe beleuchtet. Damit soll deren Scharfsichtigkeit oder Blindheit – auch im Vergleich mit gängigen Sichtweisen und Topoi der Praxis – untersucht werden. Im Vordergrund stehen also zunächst weniger die Beschreibungen bekannter Phänomene des demographischen Wandels oder sozialpolitischer Probleme, sondern der Versuch, Hintergründe und Zusammenhänge gesellschaftlicher Strukturen und Entwicklungen rund um das Altern und die sozialen Hilfen im Alter zu sondieren, zu analysieren und kritisch zu diskutieren.

Im Bereich der Altenhilfe und Altenpflege werden seit Jahrzehnten vor allem gravierende Mängel der Versorgung älterer pflegebedürftiger Menschen in ‚Heimen’ und deren ‚verwahrende’ Unterbringung, aber auch das oft einsame Leiden und Sterben allein lebender älterer Menschen und mangelhafte Hilfen zu Hause beklagt, was bisher weder gesellschaftlich noch politisch oder auch sozialwissenschaftlich ausreichende ‚Resonanz‘ erzeugen konnte und auch deshalb erklärungsbedürftig ist. Neben der institutionellen Versorgung gibt es bisher nur eine sehr unzureichende ‚offene’ Altenhilfe, welche durch kulturelle und soziale Aktivitäten zur aktiven Teilhabe älterer Menschen beiträgt oder durch eine aktive zugehende Beratung hilft, Probleme des Alterns bereits frühzeitig zu erkennen und möglichst zu bewältigen, so dass z.B. Stürze und Krankenhaus- oder Heimeinweisungen verhindert werden. Erschwerend treten die Entwicklungen der Demographie und Alterung der Gesellschaft und soziale, ökonomische sowie kultureller Veränderungen mit Veränderungen von Familien- u. Wohnformen, sozialen Unterstützungsstrukturen usw. hinzu, die aktuell und künftig große Herausforderungen und dringende Reformbedarfe der Altenhilfe mit sich bringen, wobei die im Vordergrund stehende Finanzierungsfrage oft nur ein Symptom tieferliegender gesellschaftlicher Konflikte und Strukturen darstellt.

Einen vorläufigen Höhepunkt der politisch-institutionellen Entwicklung der Altenhilfe und -pflege markiert dabei die Pflegeversicherung, welche zwar u.a. eine Verdopplung öffentlicher Mittel für Altenhilfe und pflege, die in diesem Sektor neuartigen Regulierungsmodi ‚Markt und Wettbewerb’ oder die nachhaltige Institutionalisierung ambulanter Pflegedienste mit einer zentralstaatlichen Zuständigkeit und entsprechender öffentlicher Aufmerksamkeit mit sich brachte. Das ‚Jahrhundertwerk’ konnte jedoch die tiefen strukturellen Probleme in der Altenhilfe bisher nicht ausreichend ‚lösen’, im Gegenteil: Zum Teil wurden vorhandene Probleme noch deutlicher (v.a. Qualitäts- und Qualifikationsprobleme), z.T. wurden Probleme verschärft oder geschaffen, so die institutionelle Zersplitterung u. Desintegration der Versorgungssysteme mit der Trennung von ‚ambulant’ u. ‚stationär’, sozialen u. gesundheitlichen Hilfen, ‚Altenhilfe’ und ‚-pflege’ und nicht zuletzt jener der geteilten politischen Zuständigkeit zwischen Bund, Länder und Kommunen. Hier sind also ‚Reformbedarfe’ und -konzepte der Pflegeversicherung aufzuzeigen, deren politische Realisierung bisher offen bleibt – geschuldet u.a. etablierten Mustern politisch-administrativer Interessenvermittlung und institutioneller Blockaden sowie der schwachen politischen Interessen der ‚Betroffenen’. Dabei gibt es seit Jahrzehnten vielfältige Konzepte der Praxis, begleitet und unterstützt durch interessierte fachliche Vertreterinnen und Vertreter von Staat, Verbänden, Politik und Wissenschaft, ‚alternative’ Modelle oder ‚innovative’ Konzepte und Strukturen ‚der Zukunft’ in der Altenhilfe zu entwickeln, angefangen vom ‚betreuten Wohnen’ oder dem Bau ‚neuartiger Heime’ bis hin zu ‚integrierten Versorgungszentren’, unterschiedlicher ‚Netzwerkbildung’ oder neuartigen, quer zu traditionellen Versorgungsstrukturen liegenden Mischformen professioneller und ehrenamtlicher oder generations- und ‚systemübergreifender’ Konzepte reichen, die es aber auch kritisch zu untersuchen gilt.


Literatur (spezielle Lit. siehe einzelne Themen)

Backes, Gertrud/Clemens, Wolfgang (2003): Lebensphase Alter: eine Einführung in die sozialwissenschaftliche Alternsforschung 2. überarb. und erw. Aufl., Weinheim u.a.: Juventa-Verl.

Schroeter, Klaus R./Prahl, Hans-Werner (1999): Soziologisches Grundwissen für Altenhilfeberufe: ein Lehrbuch für die Fach(hoch)schule, Weinheim u.a.: Beltz.

Schroeter, Klaus R./Rosenthal Th. (2005) (Hg.): Soziologie der Pflege: Grundlagen, Wissensbestände und Perspektiven, Weinheim/München: Juventa.

Voges, Wolfgang (2008): Soziologie des höheren Lebensalters: Ein Studienbuch zur Gerontologie, Augsburg: Maro Verlag.

Witterstätter, Kurt (2003): Soziologie der Altenarbeit – Soziale Gerontologie, Freiburg: Lambertus.