„Beim Nachdenken über den Staat läuft man immer Gefahr, staatliches Denken zu übernehmen, staatlich produzierte und geschützte Denkkategorien auf den Staat anzuwenden und also eine ganz grundlegende Wahrheit über den Staat zu verkennen. [...] eine Hauptmacht des Staates, Denkkategorien zu produzieren und durchzusetzen [...] die wir spontan auf jedes Ding der Welt und auch auf den Staat selbst anwenden. [...] Aber der beste Beleg dafür, dass das Denken des beamteten Denkers von der amtlichen Darstellung des Amtlichen völlig durchsetzt ist, ist zweifellos die Verführung, die von jenen Darstellungen des Staates ausgeht, in denen wie bei Hegel die Behörden zu einer Institution des Allgemeinen werden, welche über die Anschauung dieses Allgemeinen und über den Willen zum Allgemeinen verfügt [...] zu einem ‘Reflexionsorgan’ und rationalen Instrument, dessen Aufgabe die Realisierung des Allgemeininteresses ist.
Wenn es um den Staat geht, kann man gar nicht genug zweifeln“ (Pierre Bourdieu, Praktische Vernunft, 1998: 93-97)

Einführung

Hintergrund und Rahmen

Die Organisation und Verwaltung des Sozialen im Wohlfahrtsstaat bildet ein soziales und politisches Feld mit vielfältigen Interessen und Konflikten mit den Eckpunkten von Familie, freiwilligen privaten Vereinigungen, Markt und Staat. Im Zentrum steht das Ziel der Organisation von Solidarität und sozialer Hilfen für Bedürftige sowie im weiteren Sinn der ‚Inklusion‘ und Sozialen Integration, aber auch der ‚Sozialen Ordnung‘, welche letztlich durch den Sozial- oder Wohlfahrtsstaat gesichert werden soll. Die in den letzten Jahren grassierende liberale Position setzt dabei generell primär auf die gesellschaftliche Selbstorganisation ‚freier Kräfte‘ (Familie, Vereine, ‚Unternehmer‘) und sie kritisiert den angeblich überzogenen und ineffizienten Sozialstaat mit seiner Verwaltung und dessen ‚Einmischung‘ in ‚private‘ Angelegenheiten und Eigentumsrechte. Dagegen kritisiert die – politisch und sozial gespaltene – deutsche Linke einerseits die staatliche Herrschaft in Diensten mächtiger ökonomischer Interessen, der sozialdemokratische Mainstream stützt andererseits den Sozialstaat und seine Verwaltungen als Errungenschaft der organisierten Arbeiterbewegung und als ‚Klassenkompromiss‘, sie versucht diesen also eher auszubauen oder zu erhalten und zu reformieren. Dazwischen steht der konservative Pionier des deutschen Sozialstaats als ‚Vater Staat‘, ein durchaus starker, schützender und sorgender, aber auch maßvoller Patron, der zuallererst die subsidiäre gesellschaftliche Selbstorganisation (in Familien, Vereinen und Verbänden) fördert und korporatistisch organisiert (vgl. Esping-Andersen).

Im Zuge gesellschaftlicher und ökonomischer Krisen, die sich vor allem auf den Arbeitsmärkten (aber auch bei den Geschlechter- und Familienbeziehungen) zeigen, geriet der Klassenkompromiss des Sozialstaats – und damit auch seine Verwaltungen und Organisationen – seit Ende der 1970er Jahre durch wachsende soziale Probleme und finanzielle Lasten immer stärker unter Druck und in die Kritik. Dazu tragen auch veränderte gesellschaftlich-politische Milieus und Kräfteverhältnisse bei, was sich in der ‚Krise der Repräsentation’ (Vester) nicht nur als ‚Politikverdrossenheit‘ und in autoritären Haltungen, sondern insbesondere in der Abkehr von gesellschaftlichen Großorganisationen wie staatlichen Institutionen, Verwaltung, Parteien, Gewerkschaften, Kirchen und Wohlfahrtsverbänden niederschlägt.

New Public Management / Sozialmanagement, marktorientierter Umbau Sozialer Organisationen  und die ‚Ökonomisierung des Sozialen‘

In den letzten Jahren und Jahrzehnten betrieb infolgedessen eine liberal-konservative Offensive (die auch sozialdemokratische oder grün-alternative ‚Modernisierer‘ erfasste) die ‚Verschlankung‘ (oder den ‚Umbau‘) des als ‚ausgeufert‘, bürokratisch, undurchsichtig und leistungsschwach sowie bürgerunfreundlich erlebten Sozialstaates und seiner Organisationen. Mit der Privatisierungen und Stärkung von Wettbewerb sowie privat- und betriebswirtschaftlich inspirierten Konzepten des ‚New Public Management’ (NPM) soll zuerst der ‚moderne Staat‘ und die Verwaltung ‚schlank’ und ‚fit’ gemacht werden. Aber auch alle anderen Sozialen ‚Dienste’ sollen im Wettbewerb oder ‚Quasi-Wettbewerb’, basierend auf ‚Kontraktmanagement‘‚ hergestellt‘ werden, wodurch eine effektive und effiziente Steuerung auch in den Bereichen der Sozial-, Jugend, Altenhilfe oder Arbeitsförderung möglich werde. Mit dem NPM wird ein Paradigmenwechsel deutlich, der auch die vom Sozialstaat weitgehend abhängigen privaten Nonprofit-Organisationen wie Wohlfahrtsverbände erfasst, wobei eine ökonomische und betriebliche Perspektive eine als ‚veraltet’ dargestellte rechtliche und politische Steuerung (und ihre Disziplinen) verdrängt – eine Entwicklung die im Rahmen einer breiten ‚Ökonomisierung des Sozialen‘ gesehen werden muss. Nicht zuletzt die Klientel des Sozialstaats soll nämlich aktiviert und gefordert und ‚fit‘ werden, wozu neben den weicheren pädagogischen Methoden des ‚Empowerments‘, quasi mit der weicheren linken Hand des Staates, auch die ‚guten alten‘ Programme der ‚Härtung‘ in Form von Strafen und Sanktionen, quasi mit der härteren rechten Hand des Staates gehören. Der Paradigmenwechsel des ‚Sozialmanagement‘ zeigt sich nicht nur in der öffentlichen Sozialverwaltung, sondern auch in den ‚staatsnahen‘ privaten Wohlfahrtsverbänden und anderen Nonprofit-Organisationen. Auch diese sehen sich selbst zusehends als ‚Dienstleistungsunternehmen‘ oder ‚Betriebe‘, die sich im ‚Sozialmarkt‘ ‚aufstellen‘ oder ‚positionieren‘ möchten, ‚Sozialmarketing‘ betreiben usw.

Indes liegen in diesem Feld Sozialer Organisationen besondere Anforderungen bei der ‚Produktion‘ von ‚Kollektivgütern‘ und der politischen Bestimmung von Zielen, Leistungen, Qualität, Wirkungen und Kosten Sozialer Organisationen und Verwaltungen vor. Die bloße Übernahme betriebswirtschaftlicher Modelle und des NPM führt insofern entweder in die Irre oder sie stößt an Grenzen. Dabei verschleiern die Begriffe von ‚Management‘, ‚Fitness’, ‚Effizienz’, ‚Kunden’ usw. nicht zuletzt die grundlegenden sozialen und politischen Konflikte der Organisation sozialer ‚Problembearbeitung‘ und Herrschaft bzw. Kontrolle im Sozialstaat.


Literatur

Anheier, Helmut K. (2005). Nonprofit-Organizations: Theory, management, policy, Routledge, London/New-York.

Badelt, Christoph (Hg.) (2002): Handbuch der Nonprofit-Organisation: Strukturen und Management, (3. Aufl.) Schäffer-Poeschl, Stuttgart.

Blanke, Bernhard et al. (Hg.) (2005): Handbuch zur Verwaltungsreform,  VS-Verlag, Wiesbaden.

Bogumil, Jörg/Jann, Werner (2009): Verwaltung und Verwaltungswissenschaft in Deutschland: Einführung in die Verwaltungswissenschaft, VS-Verl. Wiesbaden.

Jann, Werner et al. (2006): Public Management – Grundlagen, Wirkungen, Kritik, Edition Sigma, Berlin.

Klie, Thomas/Maier, Konrad/Meysen, Thomas (1999): Verwaltungswissenschaft: Eine Einführung für soziale Berufe, Lambertus, Freiburg.

Voigt, Rüdiger/Walkenhaus, Ralf (Hg.) (2006): Handwörterbuch zur Verwaltungsreform, VS-Verlag, Wiesbaden, download (Springer-Link f. öff. Bib./via VPN oa).

Wöhrle, Armin (2003): Grundlagen des Managements in der Sozialwirtschaft, Nomos, Baden-Baden.