Familienpolitik, Kinder und Jugendhilfe

Die staatliche Förderung von Familien, Erziehung und Bildung von Kindern und Jugendlichen wächst am stärksten unter den Sozialausgaben in Deutschland (vgl. www.sozialpolitik-aktuell.de). Auch fällt Deutschland im internationalen Vergleich mit einer eher großzügigen finanziellen Förderung von Familien auf (Transfers), andererseits bleiben der Ausbau von Einrichtungen der Kindererziehung und Betreuung (Dienste) und die staatliche Regulierung sowie Kontrolle von Familien aber gegenüber europäischen Vorreitern wie Schweden ebenso deutlich zurück wie die Förderung der Gleichheit der Geschlechter.

Denn Konservative wenden sich häufig an sich gegen ‚Eingriffe‘ in die als privat und ursprünglich idealisierte, naturalisierte Familie. Auch bleibt in einer konservativen Sicht des Prinzips der ‚Subsidiarität‘ den überwiegend kirchlichen, ‚freien Trägern‘ ein Vorrang bei der Organisation sozialer Dienste. Allerdings sorgen sich Konservative durchaus um den Wandel oder die ‚Krise‘ familiärer Beziehungen, zwischen den Geschlechtern und Generationen, insbesondere den ‚drohenden Verfall‘ der ‚Normalfamilie‘ (mit dem männlichen Ernährer als Familienvorstand). Deshalb steht vor allem die Förderung der Ehe und Normalfamilie, weniger die Erziehung von Kindern in neuen, vielfältigen Beziehungsformen im Vordergrund der konservativ geprägten deutschen Familienpolitik. Ähnlich, wenn auch aus anderen Motiven, fordern auch Liberale den Vorrang gesellschaftlicher Selbstorganisation und eine staatliche Zurückhaltung bei der Familienpolitik mit einer bedarfsorientierten Konzentration auf sozial Schwache. Dagegen reklamieren vor allem linke sozialistische Kräfte die Überwindung und Weiterentwicklung der ‚bürgerlichen Familie‘ im Rahmen einer kollektiven, emanzipierenden Erziehung für alle, die staatlich garantiert werden soll, um gleiche Chancen zu gewährleisten.

Irgendwo zwischen den ideologischen Polen folgen in Deutschland meist Sozial- und Christdemokraten gemeinsam in einem Kompromiss, einem als ‚golden‘ verklärten ‚reformorientierten‘ pragmatischen Mittelweg, der eine pfadabhängige Entwicklung auch in der Familienpolitik fördert. Dazu trägt die typische Politikverflechtung im föderativen deutschen Regierungssystem bei. Zugleich passt wiederum die von sozialdemokratischen und grün-alternativen Kräften neuerdings aufgebrachte Losung der ‚Investitionen‘ in Kinder und Familien, die als ‚nachhaltig‘ und ‚zukunftssichernde‘ idealisiert werden (im Gegensatz zu den als ‚vergangenheitsorientiert‘ stigmatisierten Ausgaben für Ältere), auch gut zum konservativen Modell des sorgenden ‚Vater Staat‘, der sich um ‚unsere‘, ‚der Deutschen Zukunft‘ im internationalen Staaten- und Standortwettbewerb kümmert und dem sich wiederum auch Wirtschaftsliberale nicht verschließen wollen, zumal das deutsche Regierungssystem Koalitionsregierungen und Kompromisse fordert. …


Roth, Günter (2015): Familienpolitik (Präsentation Hochschule München), download (oa)


Literatur

Aktuelle Berichte, Diskussionen, Daten: http://www.sozialpolitik-aktuell.de/tf-familienpolitik.html

Bonoli, G. /Reber, F. (2010), The political economy of childcare in OECD countries: Explaining cross-national variation in spending and coverage rates. European Journal of Political Research, 49: 97–118. doi: 10.1111/j.1475-6765.2009.01884.x.

Burjard, M. (2011): Familienpolitik und Geburtenrate – ein internationaler Vergleich, Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (Hg.), Berlin.

Bundesminister für Arbeit und Soziales (2015): Übersicht über das Sozialrecht, Bonn/Nürnberg.

Gerlach, I. (2006): Familienpolitik: Kampf der Kinderlosigkeit? In: Hartwich, H.H./Pehle, H. (Hg.), Wege aus der Krise? Die Agenda der zweiten Großen Koalition, Opladen: Barbara Budrich, S. 77-94.

Lampert, H./Althammer, J. (2014): Lehrbuch der Sozialpolitik, Berlin u.a.: Springer.

Morgan, K. (2013): Path Shifting of the Welfare State: Electoral Competition and the Expansion of Work-Family Policies in Western Europe, World Politics 1, 73-115.

Rosenschon, Astrid (2001): Familienförderung in Deutschland: Eine Bestandsaufnahme, Kieler Diskussionsbeiträge, No. 382, Kiel Institute for World Economy (IfW).

Weckström, S. (2014): Defamilialisation Policies and Attitudes and Behaviour Among Mothers in Twelve European Countries, Finnish Yearbook of Population Research, 5-29.

Siehe auch: Familie und Generationenbeziehungen